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Leseprobe The Royal Railway

Sie liebte Hausgemachte Limettenlimonade. Kaum hatte sie Platz genommen, brachte ein Diener die kühle Erfrischung. Bodin lächelte zufrieden, führte das Glas langsam an ihre Lippen, schloss dabei die Augen und nahm einen kleinen, sehr damenhaften, Schluck. Sie nickte dem Diener wohlwollend zu, der die Geste verstand und sich unter unzähligen Verbeugungen entfernte. Jacqueline Bodin genoss das kühle Getränk. Sie beobachtete das Geschehen innerhalb des Wartebereichs, als auch das Treiben auf dem Bahnsteig. Kein Detail entging ihr. Eine Fähigkeit, die sie schon als Kind besaß. Auch wenn ihr das nicht immer zum Vorteil gereichte. Doch die Zeiten hatten sich geändert. Die Kriminalistik war ihr Steckenpferd. Anfänglich war es nur ihre angeborene Skepsis gewesen den Dingen auf den Grund zu gehen. Ihr selbst war schnell klar, dass sie außergewöhnliche Fähigkeiten besaß. Wenn auch kein fotographisches Gedächtnis, dann zumindest eines, dass sich der kleinsten Details bedienen konnte.

Ihren ersten richtigen Fall hatte sie bereits im zarten Alter von sechzehn gelöst. Damals besuchte sie das Internat École des Étoiles Dorées für Töchter aus höherem Hause. Innerhalb weniger Wochen waren zwei Mädchen verschwunden. Die Polizei kam zu dem Schluss, dass das erste vermisste Mädchen mit einem Ausländer nach Südamerika durchgebrannt war. Das zweite, eine gute Freundin der Vermissten, sei ihr angeblich hinterher gereist. Absurd, dachte Jacqueline seinerzeit und machte sich daran, den Fall zu lösen. Was ihr auch gelang. Der Präfekt, ein Freund ihres Vater war begeistert. Der Ortsansässige Inspekteur allerdings nicht.  Für ihn war es ein Moment der Schande. Eine Frau, nein ein Mädchen hatte geschafft, wozu er nicht in der Lage gewesen war.

Der Mann tat ihr zwar leid, aber die Dinge waren doch, zumindest für sie, offensichtlich gewesen. Von da an begann ihre kriminalistische Karriere. Immer wieder wurde sie von privaten Personen, aber auch von offizieller Seite konsultiert, um bei der Aufklärung undurchsichtiger Fälle zu helfen

 Ihr Papa hatte darauf bestanden, dass sie die schulische Ausbildung beenden müsste, was sie auch tat. Nach ihrem hervorragenden Baccalauréat scientifique hatte sie sich einen Namen gemacht. Zuerst in Frankreich, aber schon bald in der ganzen Welt. Ihr erster Fall, der internationales Aufsehen erregt, geschah auf Emberlyn Hall, dem Landsitz von Lord Alderidge, Earl of Emberlyn. Mademoiselle Bodin hatte die Ehre, Teil einer exquisiten Gesellschaft zu sein, als das unaussprechliche passierte. Lord Emberlyn hatte sie inständig um die Klärung des Falles gebeten. Selbst Scotland Yard musste sich den Anweisungen des Aristokraten fügen. Die internationale Presse überschlug sich mit den Meldungen, und der Fall ging anschließend als „Die dunklen Schatten von Emberlyn Hall“ in die Geschichte ein. Aus tiefer Dankbarkeit hatte seine Lordschaft Mademoiselle Bodin reich belohnt und ihr die Tür auf das internationale Parkett geöffnet. Seitdem Reiste sie von einem Tatort zum nächsten, immer in Gesellschaft ihres treuen Begleiters Lucien. Gerade kamen die beiden aus Französisch-Indochina, wo sie einem Opiumring den Garaus gemacht hatten. Kaum hatten sie diesen Fall gelöst, wurden sie von der britischen Garnison in Singapur gebeten, einen äußerst brisanten Fall zu übernehmen. Dies war der Grund für ihre Reise in den Süden. Lucien setzte sich neben Jacqueline und trank ein Glas Wasser.

Auf dem Bahnsteig war ein quirliges Treiben zu beobachten. Stationsmitarbeiter platzierten kleine Tritte vor den Türen der ersten Klasse. Gepäck und Waren, die ihr Ziel erreicht hatten wurden ausgeladen, während die Zuladung bereit gestellt wurde. Die Maschinisten liefen um die gewaltige Lokomotive und führten offensichtlich eine visuelle Kontrolle durch. Ein Ölkännchen mit einer langen, schmalen Tülle kam hier und da zum Einsatz.

Ein roter Teppich wurde für die Fahrgäste der Ersten-Klasse ausgerollt und so platziert, dass sie den Salonwagen verlassen konnten, ohne den staubigen Boden betreten zu müssen.

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